Eine Reise nach Jerusalem ist mindestens genauso anstrengend wie das Spiel, wo immer ein Stuhl weniger da ist als Mitspieler. Nach dem heutigen Tag muss ich sagen, noch anstrengender. Eine weitere Feststellung muss ich treffen: Eine Reise nach Jerusalem ersetzt jeden Religionsunterricht (den ich nicht hatte). Hier lernt man nicht nur alle Stationen des Leidensweges Jesus kennen, hier treffen auch viele unterschiedlich Konfessionen und Religionen aufeinander. Das kann man eigentlich nicht beschreiben. Man muss die Reise nach Jerusalem machen.
Aber der Reihe nach. Die erste Etappe heute war die Paternosterkirche. Das hat nichts mit unserem Lagersystem zu Hause im Flur zu tun. Hier hat Jesus seinen Jüngern das erste Mal das Vaterunser vorgetragen. Dort hängen viele, viele Tafeln mit dem Vaterunser in allen Sprachen. Auch solche, von denen ich bisher noch nie etwas gehört habe. Unseren Schweizer Mitreisenden fragte jemand, ob er denn auch das Vaterunser in Schwyzerdütsch gefunden habe. Er meinte, das wäre nicht möglich, denn dann müssten mehr als 40 Tafeln für die vielen Dialekte angebracht werden. Am Ölberg genießen wir den schönsten Blick auf die goldenen und silbernen Kuppeln der Altstadt. Hier ist wegen der vielen Touristen und Pilger kaum ein Platz zu finden, um ein Foto machen zu können. Der Andrang an der Kirche St. Anna, die über dem Familiengrab der Eltern der Jungfrau Maria und Josef, ihrem Ehemann, errichtet wurde, war vergleichbar. Nicht weit davon ist der Garten Gethsemane, in dem Jesus Blut geschwitzt und geweint haben soll. In der danebenstehenden Kirche der Nationen, deren Bau von vielen Ländern finanziert wurde, feierte eine polnische Pilgergruppe eine Andacht.
Durch das Löwentor betreten wir die Altstadt und gehen auf der Via Dolorosa zur Grabeskirche. Auf diesem Weg sehen wir alle Stationen des Leidensweges Jesus. Diese Straße ist teilweise ein orientalischer Suk mit vielen Angeboten und einer anderen Kultur als wir bisher bei der Reise sahen. Schade, dass wir so wenig Zeit hatten, um zu sehen und das Eine oder Andere zu kaufen. Auf dem Weg sahen wir im islamischen Viertel auch jüdische Häuser, die wie eine Festung ausgebaut und bis hin zum Dach mit Stacheldraht gesichert sind.
Die gefühlte meiste Zeit des Tages haben wir an der Grabeskirche angestanden. Hier war die letzte Station der Leiden Jesus: die Kreuzigung, die Abnahme vom Kreutz und die Grablegung. Der Besuch in dem heiligen Grab dauert ziemlich lange, da nur fünf Personen gleichzeitig in den winzigen Raum passen. Das Areal der Grabeskirche wird von sechs christlichen Konfessionen beansprucht. Der Streit dauert schon mehrere Jahrhunderte an. So hat Saladin vor mehreren Jahrhunderten eine muslimische Familie beauftragt, das Tor morgens auf- und abends wieder abzuschließen, um den Streit einzudämmen.
Die letzte Station unseres heutigen Ausflugs war die Besteigung des Turmes der protestantischen Erlöserkirche. Hier hat man einen tollen Blick auf die Altstadt von Jerusalem. Auf den Bummel durch den Basar haben wir verzichtet, da nach dem Abendessen noch eine nächtliche Stadtrundfahrt geplant ist.
Es war kalt heute Abend, aber interessant. Wir hielten zuerst auf dem Ölberg, an der selben Stelle wie am Vormittag. Da hat mir das Teleobjektiv gute Dienste geleistet. Der Felsendom auf dem Tempelberg ist wohl das markanteste Gebäude bei Nacht. Der nächste Stopp war am Garten Gethsemane, von wo aus man das zugemauerte Goldene Tor fotografieren kann. Die Kontrollen an der Klagemauer, die vergleichbar mit denen beim Flughafen sind, waren sehr streng. Die jungen Männer hatten offensichtlich Langeweile. Wir hatten aber alle Spaß, auch wenn einer unserer Mitreisenden vier Mal durch den Metalldetektor gehen musste.
Um die Tageszeit war relativ wenig Betrieb, so konnten wir ganz gelassen die Zeit genießen. Neben der Knesset steht eine Menora, der siebenarmige Leuchter der Juden, der mit seinen Verzierungen und Bildern die gesamte Geschichte der Juden darstellt. Zum Schluss durchquerten wir das Viertel der ultraorthodoxen Juden. Sie leben wohl auf Kosten der anderen, denn sie gehen nicht arbeiten und haben ganz andere Ansichten über die Religion und das Leben.